Eine einzige Zelle wird zum ganzen Körper
GesundheitsnewsStudien 1. Oktober 2021 Dr. Polwin-Plass Lydia
Am Anfang bestehen wir nur aus ident aussehenden Zellen, die sich teilen. Bis schließlich die Zellen beginnen sich in bestimmte Richtungen zu bewegen und sich zu verschiedenen Zelltypen zu spezialisieren. Kleine Ärmchen und Beinchen nehmen Gestalt an, winzige Augen werden sichtbar und das Herz schlägt zum ersten Mal. Aber was kontrolliert diese Zellen? Hier kommen die sogenannten Morphogene ins Spiel.
Finger wachsen lassen
In verschiedenen Teilen des sich entwickelnden Embryos beginnen spezielle Zellen die molekularen Signale zu produzieren, die sich später im Gewebe verteilen. Dadurch entstehen Zonen mit unterschiedlichen Mengen an Morphogenen. Zonen näher an Morphogen produzierenden Zellen weisen höhere Konzentrationen auf, während Zonen, die weiter entfernt liegen, niedrigere Konzentrationen haben.
„Das erste was die Morphogene etwa in einer Hand definieren, ist, was ein Finger und was das Gebiet zwischen den Fingern wird, also ein, Nichtfinger“, so Professorin Anna Kicheva. Zu diesem Zeitpunkt wird die Anzahl der Finger bestimmt. Die Zellen der „Zwischenfinger“ sterben daraufhin ab, so werden die einzelnen Finger voneinander getrennt. Es gibt jedoch keine speziellen Morphogene für die verschiedenen Finger, es existiert also kein „Zeigefinger-Morphogen“. Nur der Standort des heranwachsenden Fingers beeinflusst, ob sich die Zellen zu einem Daumen oder einem anderen Finger entwickeln.
Nicht nur, wenn Hände und andere Gliedmaßen gebildet werden, spielen Morphogene eine wichtige Rolle. Im Laufe der Entwicklung geben sie verschiedenen Zellen Anweisungen. Zusammen mit ihrem Team erforscht die Entwicklungsbiologin einen wichtigen Teil des Nervensystems: das Rückenmark.
Was wir mit Hühnern und Mäusen gemeinsam haben
Mit befruchteten Hühnereiern und Mäusen will die Wissenschaftlerin mehr über die Entwicklung von Wirbeltieren, zu denen auch wir Menschen zählen, erfahren. Obwohl ein Menschenbaby einem flauschigen Küken oder einer pelzigen Maus nicht besonders ähnelt – als Embryo ist es schwer sie auseinander zu halten.
Schon früh wird bei ihnen allen die Wirbelsäule, in der sich das Rückenmark befindet, gebildet und sichtbar. Das Rückenmark von Wirbeltieren erfüllt eine wichtige Aufgabe: Es leitet Befehle vom Gehirn zum restlichen Körper und Informationen über unsere Umwelt vom Körper ins Gehirn. Deshalb ist die grundlegende Struktur des Rückenmarks im Laufe der Evolution unverändert geblieben und unterscheidet sich kaum zwischen dem eines Menschen, eines Kükens oder einer Maus.
Obwohl der Bauplan des Rückmarkes sich bei verschiedenen Spezies ähnelt, reicht seine Größe von nur ein paar Millimetern, im kleinsten Frosch, bis hin zu mehreren Metern im größten Wal.
„Was den Unterschied zwischen den verschiedenen Spezies ausmacht, ist noch weitgehend unklar. Es gibt vermutlich nicht nur eine Antwort, sondern eher mehrere Faktoren, die zu den Unterschieden beitragen,“ erklärt die Wissenschafterin. Besonders die Geschwindigkeit und die Zeit mit der sich die Zellen teilen, bevor sie sich zu Nervenzellen oder andern Zellen spezialisieren, dürften eine wichtige Rolle spielen. Dieser Vorgang wird von vielen komplexen Mechanismen gesteuert, zu denen auch Morphogene gehören.
Morphogene und ihr Einfluss auf Gesundheit und Krankheit
„Historisch gesehen war immer klar, dass Morphogene äußerst wichtig für die Entwicklung sind. Entfernt man sie, wird sich der Embryo nicht richtig entwickeln. Nun geht es darum, genau zu verstehen, wie sie arbeiten. Es sind viele dynamische Prozesse in einander verwickelt und wir haben heute die Möglichkeit, diese mit quantitativen Methoden zu erforschen. Das macht unsere Arbeit besonders spannend“, freut sich die bulgarische Wissenschafterin.
„Nachdem das Leben des Rückenmarks begonnen hat, haben Morphogene eine ganz andere Aufgabe“, beschreibt die Entwicklungsbiologin. Wie bei den meisten Organen, besteht auch das Rückenmark aus verschiedensten Typen von Neuronen. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt untersucht Anna Kicheva deshalb, wie Morphogene Zellen beauftragen, bestimmte Zelltypen auszubilden.
„Morphogene haben wirklich fundamentale Funktionen, sowohl in der Entwicklung als auch im erwachsenen Organismus“, sagt Kicheva. „Oft zeigen sich bei verschiedenen Arten von Krebs und bei Entwicklungsstörungen Defekte bei der Signalübertragung von Morphogenen.“ Die zugrundeliegenden Mechanismen zu verstehen, könnte helfen, den Weg für neue Therapien zu ebnen.
Quelle: PM der www.ist.ac.at