

Wahrnehmungsstörung könnte Grund für Schwindel sein
GesundheitsnewsStudien 25. März 2020 Dr. Polwin-Plass Lydia

Oft haben Patientinnen und Patienten, die unter funktionellem Schwindel leiden, einen wahren Untersuchungsparcours hinter sich, wenn sich keine organischen Ursachen feststellen lassen. Ein Experiment an der Technischen Universität München (TUM) entdeckte nun mögliche Gründe für die Krankheit. Ursache könnte die senso-motorische Verarbeitung im Gehirn sein.
Das Team um Prof. Nadine Lehnen, Funktionsoberärztin der Psychosomatik am TUM-Universitätsklinikum konnte dies These, dass funktionelle Erkrankungen auf einer fehlerhaften Verarbeitung von Wahrnehmungsreizen beruhen können, mit einer ersten experimentellen Pilotstudie stützen.
Für die Untersuchung wurden acht an funktionellem Schwindel Erkrankte und elf Gesunde als Vergleichsgruppe zusammengestellt. Auch Daten von Schwindel-Patientinnen und -Patienten mit organischen Defekten aus früheren Untersuchungen wurden herangezogen. Diese hatten entweder eine Kleinhirnstörung oder keine funktionierenden Gleichgewichtsnerven.
Starke Defizite bei Schwindel-Patienten
In einem dunklen Raum, sollten die Teilnehmenden Lichtpunkte verfolgen, die in schnellem Wechsel links oder rechts an der Wand Lichtpunkte erschienen. Augen- und Kopfbewegungen während der Blickbewegung wurden erfasst. Anschließend bekamen die Probanden Helme mit Gewichten, um die Trägheit des Kopfes zu verstärken. Durch das Drehen wurden die Köpfe in starke Wackelbewegung versetzt.
Während die Gesunden ihre Bewegung schnell an die neuen Gegebenheiten anpassen konnten und deren Köpfe nicht lange nachwackelten, hatten alle Probanden mit funktionellem Schwindel Probleme damit. Überraschend war, dass Letztere Symptome zeigten, wie die Probanden mit massiven organischen Schwindelursachen.
„Unsere Ergebnisse machen beeindruckend klar, dass sich funktioneller Schwindel so äußerte wie schwere körperliche Erkrankungen, zum Beispiel nach komplettem Verlust der Funktion der Gleichgewichtsnerven. Das spiegelt wider, wie stark diese Menschen eingeschränkt sind“, so Nadine Lehnen.
Mögliche Erklärung für funktionellen Schwindel
Anhand von Vorerfahrungen, die im Gehirn in Form sogenannter erlernter Modelle gespeichert wird, bilden Menschen eine Erwartung über die sensorischen Eindrücke, die durch eine Bewegung entstehen. Diese Erwartung wird mit den Informationen von den Gleichgewichtsorganen verglichen. Verhält sich der Kopf anders als normal, passen beide Informationen nicht mehr zusammen. Es entsteht ein Ungleichgewicht zwischen Erwartung und Realität. Man nennt dies „Vorhersagefehler“.
„Gesunde können diesen Fehler problemlos wahrnehmen, verarbeiten und ihre Bewegung anpassen. Bei funktionellen Schwindel-Patienten scheinen die sensomotorischen Eindrücke jedoch nicht korrekt verarbeitet zu werden. Sie verlassen sich primär auf ihr gespeichertes Modell, das aber nicht mehr zur neuen Realität passt. Für uns war spannend, dass bei ihnen aber ein Lernen möglich ist – nur eben eingeschränkt.“ Aus diesem Grund wären therapeutische Ansätze wichtig, die das Verarbeitungsdefizit berücksichtigen und ausgleichen.
Originalpublikation:
Nadine Lehnen, Lena Schröder, Peter Henningsen, Stefan Glasauer, Cecilia Ramaioli: Deficient head motor control in functional dizziness: Experimental evidence of central sensory-motor dysfunction in persistent physical symptoms, Progress in Brain Research, 2019, DOI: 10.1016/bs.pbr.2019.02.006
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31325997
Weitere Informationen:
http://www.psychosomatik.mri.tum.de/ – Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Technische Universität München
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