Was Mucine im Schleim alles für unseren Körper tun
AllgemeinGesundheitsnewsStudien 27. Mai 2024 Dr. Polwin-Plass Lydia
Wir haben sie auf den Augen, auf der Zunge und im Magen – eine schützende Schleimschicht, die vor allem aus Mucinen besteht. Diese Moleküle binden Wasser und bilden so einen natürlichen Schmierstoff. Forschende der Technischen Universität München (TUM) entwickeln nun daraus Beschichtungen für Kontaktlinsen und Intubationsschläuche, Wundheilungspflaster für Zunge oder Darm und vieles mehr.
Der natürliche Schmierstoff aus Schleimmolekülen, den Mucinen, wirkt in unserem Körper nicht nur als mechanische Schutzschicht, sie hält auch Bakterien und Viren ab. Oliver Lieleg, Professor für Biopolymermaterialien an der TUM und sein Team entwickeln daraus Materialien für medizinische Anwendungen.
Zum Beispiel hat das Team hat eine Beschichtung für Kontaktlinsen entwickelt, die die Reibung zwischen Linse und Auge reduziert und so Hornhautschäden vorbeugt. Die Beschichtung aus Mucinen ist nur wenige Mikrometer dick, durchsichtig und schützt das Auge vor Schaden durch Reibung. Rund vier Millionen Personen in Deutschland tragen Kontaktlinsen. Bei Patientinnen und Patienten mit trockenen Augen, bei denen der natürliche, schützende Gleitfilm zwischen Auge und Linse nicht ausreicht, kann das Tragen jedoch unangenehm sein und die Hornhaut sogar beschädigt werden.
Schäden der Atemwege verhindern – Mucinbeschichtung für Intubationsschläuche, um Gewebeschäden vorzubeugen.
Künstliche Beatmung kann Leben retten, jedoch können durch Intubationsschläuche auch Gewebeschäden oder Infektionen auftreten. Eine Beschichtung könnte das Risiko reduzieren. Das Team hat vier verschiedene Beschichtungen mit dem gleichen Verfahren auf Intubationsschläuchen angebracht und verglichen. Alle getesteten Optionen (auf Basis von Mucin, Hyaluronsäure, Polyethylenglycol oder Lysin-Dextran) haben die Reibung auf Luftröhrengewebe reduziert und Gewebeschaden verhindert. Ablagerungen aus Zellen, Bakterien oder Fetten verhinderte die Beschichtung aus Mucin jedoch deutlich besser.
Die Schleimschicht des Körpers erforschen
Im Modellsystem untersuchen die Forschenden, was an den Mucusschichten im Körper passiert, wenn sie mit Nano- oder Mikropartikeln in Kontakt kommen. Sie haben beispielsweise geprüft, ob Feinstaub die Schutzwirkung beeinträchtigt. Zudem entwerfen sie Mikropartikelsysteme, um winzige Wirkstoffträger für Medikamente beim Einatmen gezielt an der Mucusschicht der Atemwege freizusetzen.„Wenn die Mucinschicht mit Feinstaub durchsetzt ist, verschlechtert sich ihre Barrierewirkung. Die winzigen Partikel besetzen im Mucingel Bindestellen, die dafür gedacht sind, andere Moleküle abzufangen“, sagt Oliver Lieleg.
Atmen wir winzige Staubpartikel, Krankheitserreger oder Schadstoffe ein, fängt die Schleimschicht unserer Atemwege einen Teil davon ab. Deswegen ist es für die Prävention, für Diagnosen und für medizinische Anwendungen zum einen wichtig zu verstehen, wie die schädlichen Teilchen mit der Schleimschicht interagieren. Zum anderen nutzen Forschende die feuchten Eigenschaften der Mucusschicht, um Medikamente so zu verpacken, dass sie gezielt an der Schleimschicht freigesetzt werden.
Dabei arbeiten die Forschenden arbeiten mit sogenannten Microfluidic-Chips, also einem Modellsystem, bei dem sie ein Gel aus Mucinen aufbringen. Damit untersuchen sie die Grenzflächen zwischen der Schleimschicht und Flüssigkeiten, wie im Darm, oder der Schleimschicht und der eingeatmeten Luft, wie in den Bronchien.
Im aktuellsten Projekt haben die Forschenden der TUM gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der LMU winzige Verpackungen für Wirkstoffe entwickelt, die sich einatmen lassen. Dazu haben sie kleine Kügelchen (Mikropartikel) entworfen, mit denen sie die noch kleineren Wirkstoffträger (Nanopartikel) umhüllen. Für den Andock- und Zerfallprozess am feuchten Mucus sind die Ladung und die Struktur der Partikel entscheidend. Von den getesteten Materialien war die Verpackung aus Lysin am erfolgreichsten, da diese Aminosäure mit ihren positiven Ladungen am besten am negativ geladenen Mucus gehaftet hat.
Wunden verschließen und heilen
Die Wundheilung beschleunigen, Entzündungen vorbeugen und sich zuletzt von selbst auflösen – all dies kann ein Prototyp eines multifunktionalen Wundheilungspflasters auf Mucin-Basis. Bei Verletzungen von Weichgewebe wie der Zunge oder Oberflächen wie dem Darm können keine konventionellen Pflaster angebracht werden. Daher ist eine Alternative nötig. Das Wundheilungspflaster auf Mucin-Basis hält auf feuchtem Weichgewebe, ohne es zu beschädigen, beugt Entzündungen vor, kann Wirkstoffe zielgerichtet freisetzen und löst sich am Ende von selbst auf. Letzteres kann besonders für einen Einsatz nach Operationen hilfreich sein, um Wunden im Körperinneren zu schützen, die nach dem Verschließen nicht mehr erreichbar sind.
Das Pflaster besteht aus zwei Lagen. Auf der oberen Seite sind die Mucine enthalten, die antibakteriell wirken. Zudem verleiht ein biologisch abbaubarer Kunststoff dem Pflaster eine gewisse Stabilität. Unten sind unter anderem Hyaluronsäure, bekannt für ihre wasserbindenden und wundheilungsfördernden Eigenschaften, und Dopamin enthalten. Letzeres sorgt für die Haftung auf feuchtem Gewebe. Die Forschenden können auch Wirkstoffe wie Antibiotika in die untere Lage integrieren, die dann zur Wunde hin abgegeben werden.
Aktuell gibt es einen Prototyp des Pflasters für Laborzwecke. Das Team arbeitet derzeit daran, die Zusammensetzung der Komponenten so zu ändern, dass der dünne Film stabiler wird, um das Pflaster für weitere Anwendungsfälle anzupassen. Die Forschenden möchten zudem einen Wundheilungsfaden mit Mucin-Beschichtung zum Nähen von Wunden entwickeln.
Das Team entwickelt und optimiert die Materialien über mehrere Jahre hinweg und testet Prototypen unter Laborbedingungen. Mit diesen prüfen die Forschenden die Funktionalität in Zellkultur oder an tierischen Gewebeproben. Auch bestimmte Parameter wie Sterilisierbarkeit, die über den Grundlagenbereich hinausgehen, aber für einen späteren Einsatz notwendig sind, testen sie. Für einen zukünftigen Einsatz der Anwendungen bei Patientinnen und Patienten sind noch weitere Schritte und klinische Studien bis hin zu einer klinischen Zulassung nötig.
Weitere Informationen:
Prof. Oliver Lieleg forscht am Munich Institute of Biomedical Engineering (MIBE), einem Integrativen Forschungsinstitut der TUM, und am Center for Functional Protein Assemblies (CPA) der TUM. Am MIBE entwickeln und verbessern Forschende aus der Medizin, den Natur- und Ingenieurwissenschaften und der Informatik gemeinsam Verfahren zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten. Die Aktivitäten reichen von der Untersuchung grundlegender wissenschaftlicher Prinzipien bis zu deren Anwendung in medizinischen Geräten, Medikamenten oder Computerprogrammen. https://www.bioengineering.tum.de/
Headerbild: Andreas Heddergott
Publikationen:
https://doi.org/10.1002/adfm.202105721
https://doi.org/10.1002/anbr.202300153
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36521413/;https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acsami.0c06847
https://pubs.rsc.org/en/content/articlehtml/2024/bm/d3bm01985c