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Hirn-Computer-Schnittstelle soll bei Querschnittslähmung mehr Selbständigkeit schaffen Hirn-Computer-Schnittstelle soll bei Querschnittslähmung mehr Selbständigkeit schaffen
Erstmals in Europa wurde in einer 5 stündigen OP am Universitätsklinikums der Technischen Universität München einem Patienten mit Querschnittslähmung eine Hirn-Computer-Schnittstelle eingesetzt. Diese soll... Hirn-Computer-Schnittstelle soll bei Querschnittslähmung mehr Selbständigkeit schaffen

Erstmals in Europa wurde in einer 5 stündigen OP am Universitätsklinikums der Technischen Universität München einem Patienten mit Querschnittslähmung eine Hirn-Computer-Schnittstelle eingesetzt. Diese soll es ihm erleichtern, seinen Alltag zum Teil selbst zu bewältigen. Derzeit werden weitere Betroffene für die Studie gesucht.

Alleine in Deutschland leben etwa 140.000 Menschen mit Querschnittslähmung. Durch Unfälle, Tumore, Entzündungen oder Veränderungen der Wirbelsäule kommen jährlich rund 2.400 Betroffene neu hinzu. Viele von ihnen leben Jahrzehnte mit ihrer Erkrankung. Die Abhängigkeit von Angehörigen und Pflegekräften stellt eine große Herausforderung für alle Beteiligten dar.

Ein Team des Universitätsklinikums der Technischen Universität München (TUM Klinikum) hat einem vom Hals abwärts gelähmten Mann eine Hirn-Computer-Schnittstelle eingesetzt. Der fünfstündige Eingriff war der erste seiner Art in Europa. Das Gerät soll Betroffenen in Zukunft mehr Teilhabe, Unabhängigkeit und Lebensqualität eröffnen.

Konkret will das Team dem 25-jährigen Patientendamit helfen, sein Smartphone und einen Roboterarm mit seinen Gedanken zu steuern.

„Ich erhoffe mir, dass ich wieder selbständig essen und trinken kann und etwas weniger Hilfe im Alltag benötige“, sagt Michael Mehringer. Mit 16 Jahren überlebte er einen schweren Motorradunfall. Es folgten 14 Monate Klinik, mit Koma, Intensivstation und zahlreiche Operationen. Bis heute ist er vom Hals abwärts querschnittsgelähmt. Über einen Zeitungsartikel wurden Mehringer und seine Familie auf die Studie „Künstliche Intelligenz für Neurodefizite“ am TUM Klinikum aufmerksam. „Ich bin immer positiv. Ich habe immer viel Hoffnung. Das ist mein Antrie. Ich bin stolz, dass ich mithelfen kann, die Forschung voranzubringen.,“ so Michael Mehringer.

5 lange Stunden

Nach einer langen Vorbereitungs- und Planungsphase setzte das Team der Neurochirurgie am TUM Klinikum in einer mehr als fünfstündigen Operation eine eigens gefertigte Hirn-Computer-Schnittstelle ein. Mit den 256 Mikroelektroden des Geräts lassen sich Signale aus dem Bereich des Gehirns, der für die Planung und Durchführung komplexer Greifbewegungen zuständig ist, präzise ableiten.

Die größte Herausforderung bestand darin, die Elektroden sehr genau zu implantieren. Nur so erhält man hinterher exakte Ableitungen, und kann Hirnsignale präzise messen“, erläutert Prof. Bernhard Meyer, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie.

Bereits 2022 hatte das Team einer Schlaganfallpatientin mit Sprachstörung eine solche Schnittstelle eingesetzt. Mit deren Hilfe wurde seitdem zunächst die Sprachverarbeitung in der gesunden rechten Hirnhälfte kartiert.

Hirnsignale werden decodiert

Nach dem erfolgreichen Eingriff haben die eigentlichen Forschungsarbeiten begonnen. Etwa zweimal in der Woche treffen sich Michael Mehringer und die Forschenden im Labor. Über einen Messkopf wird ein Computer an die Schnittstelle angeschlossen. Das System extrahiert aus den übertragenen Signalen Nervenzellaktivität. Diese Daten werden genutzt, um KI-Algorithmen so zu trainieren, dass sie den Zusammenhang zwischen den neuronalen Signalen und der Bewegung, die Mehringer ausführen will, erkennen. Hier kommt das Team des Munich Institute for Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) an der TUM ins Spiel.

Zunächst sollen decodierte Hirnsignale genutzt werden, um einen Cursor auf einem Bildschirm und ein Mausklick-Signal zu kontrollieren. Dann, so hoffen die Forschenden, kann Michael Mehringer nach und nach lernen, einen Roboterarm zu bewegen und damit Gegenstände zu greifen. „Anstatt von Menschen zu erwarten, dass sie sich anpassen und den Umgang mit Robotersystemen erlernen, liegt unser Schwerpunkt darauf, Systeme zu entwickeln, die menschliche Absichten erkennen“, erklärt die Teamleiterin Dr. Melissa Zavaglia. Ein erster Erfolg nach einigen Wochen Training: Wenn Michael Mehringer auf einem Bildschirm die Bewegungen eines Cursors beobachtet und in Gedanken nachahmt, können die Forschenden aus den neuronalen Daten ablesen, welche Bewegungen er sich vorstellt.

Aufruf an weitere Betroffene, sich für die Studie zu melden

In Zusammenarbeit mit engagierten Teilnehmenden wie Michael Mehringer wollen die Münchner Forschenden in den kommenden Jahren wichtige Durchbrüche erzielen. Für die Studie suchen sie weitere junge Erwachsene aus dem Raum München mit hoher Querschnittlähmung, zum Beispiel durch einen Bade- oder Verkehrsunfall.

Prof. Jacob: „Wir suchen Menschen mit Pioniergeist und einer positiven Lebenseinstellung. Für unsere Studienteilnehmer ist wichtig zu verstehen, dass sie an Forschung teilnehmen, nicht an Heilung. Forschung ist nicht so planbar wie eine Kopfschmerztablette zu schlucken, die seit unzähligen Jahren entwickelt und erprobt ist.“

Weitere Informationen:

  • Studienteilnahme: Junge Erwachsene mit hoher Querschnittslähmung, die an der Studie teilnehmen wollen, können sich per E-Mail an aid-studie@mri.tum.de bei den Forschenden melden. Sämtliche Kosten werden durch das TUM Klinikum getragen, unterstützt durch öffentliche Gelder. Die Studienteilnahme ist zunächst auf fünf Jahre angelegt. Der Fortgang der Studie wird laufend kritisch überprüft. Die Sicherheit und das Wohlbefinden der Teilnehmenden stehen stets im Vordergrund. Die Studie wird vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt gefördert und wurde von der Ethikkommission des TUM Klinikums geprüft.
  • Ethische Fragen: Neben neuen Möglichkeiten sorgen Hirn-Computer-Schnittstellen auch für neue ethische Herausforderungen. Marcello Ienca, Professor für die Ethik von KI und Neurowissenschaften an der TUM, beschäftigt sich intensiv mit diesen Fragen und steht in engem Austausch mit dem Team. Prof. Ienca hat unter anderem in Expertengremien von OECD und UNESCO zu diesem Thema mitgearbeitet und ist designierter Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Neuroethik (Kontakt: marcello.ienca@tum.de).
  • Persönliche Geschichte: Michael Mehringer hat über seinen Weg zurück ins Leben ein Buch geschrieben („Seit dem Tag danach – Hallo, ich bin immer noch DER Michi“).
  • Foto: Julia Bergmeister / TUM Klinikum

Dr. Polwin-Plass Lydia Inhaberin und Chefredakteurin

Als promovierte Journalistin / Publizistin und Pressefotografin befasse ich mich mit verschiedenen Themenschwerpunkten: Vertrieb, Marketing, Bildung, Arbeitsmarkt, Kultur und Alternativmedizin. Zu medizinischen Themen konnte ich mir im Laufe der Jahre durch Recherche, Lektüre und das Verfassen zahlreicher Gesundheitsbroschüren viel Wissen und Erfahrung aneignen. Im Frühjahr 2015 gründete ich mein erstes Online Magazin "Metalogy.de" und 2019 folgte "Gesund heute und morgen".